Ostsee Segelreise auf einem historischen Segelschiff
Interview und Veröffentlichung
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Mit einer Crew aus drei dutzend Mann & Frau ist Fotografin Corinna Schmid auf einem historischen Segelschiff zur einer achttägigen Segelreise in die Ostsee aufgebrochen. Startpunkt Wismar, Ziel Neustadt in Holstein – das ist das Einzige, was die Reisenden genau wussten. Der Rest der Reise war eher ungewiß. Wind und Wetter sollten den Tagesablauf bestimmen und nur der Kapitän wusste, wo sie jeden Abend vor Anker gehen werden. Im Interview erzählt Corinna von stürmischer See, Nachtwachen an Bord und über die Widrigkeiten beim Lernen des Segler-ABC.
Corinna, wie kamst du auf die Idee, diese Segelreise zu machen?
Die Idee, eine Segelreise zu machen ist eher zufällig entstanden. Bei einem netten Gespräch mit einer Bekannten sind wir auf das Thema Segeln gekommen. Sie hat mir erzählt, dass ein ehemaliger Schulkollege von ihr mit einem historischen Segelschiff auf der Ostsee Reisen organisiert und das man da „einfach“ mitsegeln kann. Segelkenntnisse wären zwar von Vorteil, aber kein Muss.
Da ich vorher noch nie segeln war, schon gar nicht auf einem alten Segelschiff oder besser gesagt auf einem Dreimast-Schoner, welcher 1887 erbaut wurde, fand ich die Idee einfach großartig. Als Fotografin bin ich sowieso immer auf der Suche nach spannenden Geschichten und außergewöhnlichen Erlebnissen, die ich bildlich einfangen kann und ich liebe es, mich neuen Herausforderungen zu stellen. Somit war diese Entscheidung schnell getroffen. Sofort gingen mir Piratenfilme wie „Der rote Kosar“ oder „Die Schatzinsel“ durch den Kopf und mir war klar: Ich gehe segeln und stelle mich dieser Erfahrung.
Kannst du uns einen kurzen Einblick in deine Route geben?
Gestartet ist die ganze Crew mit 29 Mann & Frau in Wismar und das Einzige, was wir wussten war, dass wir in acht Tagen in Neustadt in Holstein sein werden. Der Rest der Reise war eher ungewiß. Wind und Wetter sollten unseren Tagesablauf bestimmen und nur der Kapitän wusste, wo wir jeden Abend vor Anker gehen werden. Die dänische Südsee oder gegebenenfalls Kopenhagen waren zu Anfang unserer Reise noch ein Thema. Am Ende wurde es Nyborg in Dänemark, wo wir zur Mitte unserer Reise zwei Tage im Hafen verbrachten, da die Wellen auf der Ostsee zu stark waren. Die Amphitrite, so heißt das alte Segelschiff, bleibt ab Windstärke 6 aus Sicherheitsgründen immer im Hafen. Die restliche Zeit verbrachten wir ausschließlich auf dem Meer und übten das Segeln.
Und wie war der Reisealltag auf dem Schiff?
Die Tage waren, soweit es ging, organisiert und strukturiert. Dienstpläne und die Einteilung in den 24-Stunden-Schichtdienst gaben vor, wann wer wo zu sein hat und welche Aufgaben dabei zu übernehmen sind. Frühstück gab es für alle um 9 Uhr, Mittagessen um 13 Uhr und Abendessen um 18Uhr. Hatte ich Dienst in der Kombüse, musste ich den Tisch decken und abräumen, Staubsaugen oder auch mal Kartoffel schälen. Hatte ich Dienst an Deck, war es wichtig, den Ausguck zu besetzen, das Deck zu wässern oder auch mal das Steuer zu übernehmen, um das Schiff auf Kurs zu halten.
Besonders tagsüber gab es schnell mal Wetterveränderungen, auf die sofort reagiert werden musste. Da hieß es dann „Alle Mann an Deck!“ und man lauscht aufmerksam dem Steuermann. Mit lauten Kommandos wurden der Besatzung kurze Befehle zugerufen und alle mussten mitmachen.
Meine freie Zeit nutze ich viel zum Schlafen, zum Entspannen in einer ruhigen Ecke oder eben zum Fotografieren. Besonders schön war das, wenn die warme Sonne einem ins Gesicht strahlte, obwohl es eisig kalt war und die großen Wellen aufs hölzerne Deck peitschten. Diese Momente habe ich schon sehr genossen.
Wie bist du bei deinen Vorbereitungen vorgegangen?
Vorbereitung war in diesem Fall schon wichtig, da ich ja auf einem Schiff sein würde und nicht einkaufen gehen konnte, wenn mir doch was gefehlt hätte. Die richtige Kleidung und Schuhsohlen, die nicht rutschen, waren bei dieser Reise das größte Thema. Ich musste mir Gedanken machen, was in meinem Kleiderschrank denn habe, was warm, wasserdicht und wasserabweisend ist. Außerdem musste ich mir überlegen, wie ich meine Gerätschaften vor Feuchtigkeit schütze. Und ich fragte mich natürlich auch, ob ich seetauglich bin und was ich bei Seekrankheit tun würde.
Hattest du bereits alles im Voraus geplant?
Ich plane keiner meiner Reisen komplett durch. Mir reichen oftmals nur Eckdaten über meine Reiseziele und ich lasse mich inspirieren von dem, was vor Ort passiert. Ich habe mich im Vorfeld weder mit Abläufen oder Aufgaben auf dem Schiff beschäftigt, noch versucht in Erfahrung zu bringen, was mir in meiner Planung geholfen hätte. Im Grunde wusste ich nur „Schiff“ und „Ostsee“. Speziell bei dieser Reise war es auch gar nicht anders möglich.
Die Tage waren im Grunde durchgetaktet mit Dienstplänen und den damit verbunden Aufgaben oder Tätigkeiten. Die Nächte waren meisten sehr kurz und die Schlafenszeiten eher unregelmäßig. Da wir nachts meistens auf dem Meer geankert haben und nicht in einen Hafen eingelaufen sind, waren auch nachts kleine Teams auf Deck eingeteilt, die alles im Blick behalten haben.
Nicht nur einmal mussten alle um 3 Uhr morgens aufs Deck, um den Anker aus der Tiefe zu holen, da das Schiff drohte, auf Grund zu laufen. Da hieß es dann: Alarm, Alarm und die große Schiffsglocke bimmelte wie verrückt! Alle mussten raus aus der Koje und sofort mit anpacken. Das es dabei in Strömen regnete störte fast niemand. Blöd war solch eine Aktion nur dann, wenn ich um 6 Uhr sowieso Schicht hatte, diese Nacht war dann eben besonders kurz.
Jeder Tag war daher anders als der davor, jeder Tag hatte seine ganz eigenen Herausforderungen und niemand wusste, wie der nächste Tag aussehen wird. Stellenweise hatte die Reise was von einer außergewöhnlichen Klassenfahrt, nur mit dem Unterschied, dass es keine Stockbetten gab, sondern kleine Kojen, die übereinander angeordnet waren.
Was waren für dich die größten Herausforderungen bei dieser Segelreise?
Die größte Herausforderung für mich war das Segler-ABC. Ich habe mich schon lange nicht mehr so verloren gefühlt wie auf dieser Reise. Dabei ging es nicht um die Tätigkeiten an sich, sondern darum zu verstehen, was der Steuermann von mir verlangte. Die Abläufe müssen beim Segeln oftmals sehr schnell gehen. Kräftige Winde können sehr plötzlich in das Geschehen eingreifen und ein Tau kann schnell aus der Hand rutschen, da müssen die Handgriffe gut sitzen.
Doch bis ich begriffen hatte, was „fieren“ bedeutet und wo ich die „Fock“ finde, war oftmals alles zu spät. Da war ich froh, Leute mit mehr Erfahrung um mich herum zu haben, die wussten, woran sie jetzt ziehen oder was sie loslassen mussten. Das war meine größte Herausforderung.
Die fehlende Privatsphäre und das „nicht duschen können“, das unregelmäßige Schlafen und die ständige Feuchtigkeit überall waren dabei wohl der Teil, der einfach dazu gehörte. Die Reise früher zu beenden kam aber nie in Frage, auch wenn es in Dänemark die Möglichkeit gegeben hätte, das Schiff zu verlassen und mit dem Zug wieder zurück zu fahren. Dafür war das alles viel zu aufregend!
Kannst du uns von besonderen Momenten auf See erzählen?
Einer dieser Momente war meine erste Nacht, in der ich Wache halten musste – gemeinsam mit einem anderen Mitsegler, den ich den Tag zuvor kennengelernt hatte. Es war kurz vor 4Uhr morgens als ich von jemanden mit einer grellen Taschenlampe aus meiner kleinen Koje rausgeholt wurde und er irgendwas von Nachtwache in mein Ohr flüsterte. Es hat schon etwas gedauert bis ich verstand, was los war.
Alles schlief noch und ich hörte nur leises Schnarchen und unregelmäßiges Röcheln rings um mich herum. Eine leichte Bierfahne schwebte immer noch im Raum. „Manche von uns waren wohl noch länger wach…“ ging mir durch den Kopf. Das Schiff selbst schwankte nur ganz langsam hin und her und fast hätte ich vergessen, dass wir ja auf dem Meer waren. Ich zog mich leise an und kroch durch die kleine Luke nach oben an Deck.
Ein unglaublicher Sternenhimmel blickte mir entgegen und er war fast wolkenlos. Zu meinem Erstaunen war es ziemlich warm um diese Uhrzeit. Es war ein seltsames Gefühl, in tiefer Nacht auf einem Schiff zu sein und den Sternenhimmel zu betrachten. Diese Ruhe, das Meer. Das war wirklich toll. Ich hatte seit langem mal wieder das Gefühl zur Ruhe gekommen zu sein und nur den Moment genießen zu können.
Mit unterschiedlichen Gerätschaften mussten wir nun den Kurs und die Windstärke messen und diese Zahlen in eine Liste eintragen. Wenn davon irgendwas die Norm verlässt, mussten wir den Steuermann aufwecken. Was dann passieren würde? Keine Ahnung. Passiert ist in dieser Nacht nicht mehr viel, aber ich kann mich an einen unglaublich schönen Sonnenaufgang erinnern. Es war einfach großartig, die Sonne mitten auf dem Meer so begrüßen zu dürfen.
Gab es auch weniger schöne Momente an Bord?
Es gab auch Momente, wo es mir ganz schön mulmig zu Mute war. Zum Beispiel als wir auf der Rückreise von Dänemark waren und noch zwei Tage hatten, bis wir von Bord gehen würden. Schon am Nachmittag fing es an, etwas stürmisch zu werden und die Wellen gewannen sichtlich an Höhe. Windstärke 5 und Westwind.
Von Stunden zu Stunde schaukelte das ganze Schiff mehr und mehr und alle mussten die orangefarbenen Schwimmwesten anziehen. Die Leichenfänger waren schon längst angebracht und von Minute zu Minute kehrte mehr Stille ein auf Deck. Der Kapitän stand seit dem frühen Abend selbst am Ruder und sein Crew war in Habachtstellung. Der angespannte Wellengang machte mich nervös, vor allem auch, weil ab und an eine Welle droht, das komplette Deck zu überschwemmen. Das ganze Schiff knarrte und knarzte. Beinahe hatte ich das Gefühl, dass das Schiff gleich in der Mitte auseinander brechen würde.
Jeder auf Deck hatte sich irgendwo festgekrallt und hoffte, nicht mit der nächsten Welle weggespült zu werden. Die Sonne ging langsam unter und der Vollmond ging auf. Wir segelten in voller Fahrt im Mondschein durch die Ostsee. Es war ein schaurig schönes Bild. Heute bereue ich es, dass ich keine Bilder davon habe, aber ich konnte bei diesem Wellengang unmöglich fotografieren. Sicherheit ging vor.
Was waren die überraschendsten Einsichten zum Schiff und Seglern?
Ein Segelschiff, in der Größe wie die Amphitrite eines ist, kann nur als Mannschaft bewegt werden. Die ganze Crew und die gesamte Besatzung muss als Team funktionieren. Jeder ist wichtig und nur als Einheit erreicht man das Ziel. Ich hatte das Gefühl, dass wir als Mannschaft am Ende der Reise eine Andere waren als zu Beginn. Diese Entwicklung selbst mitzuerleben, war wirklich schön.
Hast du etwas neues über dich selbst gelernt?
Oh ja! Ich weiß nun, dass ich seetauglich bin und nicht so schnell seekrank werde, auch wenn es Momente gab, die etwas grenzwertig waren. Ich kann verstehen, warum Menschen gerne segeln gehen, aber ich habe auf dieser Reise für mich keine verborgenen Leidenschaften entdecken können. Diese Woche war absolut empfehlenswert und ich würde es für eine tolle Bildergeschichte jederzeit wieder machen, aber unter Urlaub verstehe ich etwas anderes (lacht).
Gibt es etwas, das du auf so einer Seereise anders tun würdest?
Sollte ich jemals wieder solch eine Reise machen, würde ich mehr warme Strumpfhosen im Gepäck haben und Schuhe mitnehmen, die wirklich rutschfest sind. Mein erstes Paar bequeme Schuhe hatten sich nach vier Tagen im Salzwasser aufgelöst und meine Gummistiefel waren keine gute Idee. Außerdem würde ich eine Actioncam, ein Segellexikon, mindestens eine Packung Ohropax, ein Band für die Sonnenbrille, eine Mütze zum Anklipsen und vernünftige Arbeitshandschuhe einpacken. Außerdem würde ich eine Woche Erholungsurlaub einplanen, für die Zeit hinterher. Ansonsten gerne wieder!
Und was wären deine Tipps für all diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, diese Reise zu wagen wollen?
Wer sich auf ein richtiges Segelabenteuer einlassen möchte, und wissen will, wie sich Kapitän Jack Sparrow wohl gefühlt haben muss, ist auf solch einem Segelschiff sehr gut aufgehoben. Viele meiner Mitsegler hatten schon jahrelange Segelerfahrung, aber eben nicht auf einem historischen Schiff und alle haben gesagt, dass so eine Reise ein ganz eigenes besonderes Erlebnis ist. Und wie man ja weiß: „Auf alten Schiffen lernt man segeln“. So dann, Schiff Ahoi!